Wie bemerkte ich AD(H)S bei meinen Kindern?
Teil 1: Mein erster Sohn: Kleinkindalter
Das ist eine Frage, die ich klar mit „zu spät“ beantworten muss. Es ging ganz an uns vorbei, dass unsere ersten zwei Kinder Auffälligkeiten im Verhalten zeigten, die einerseits auf ADHS bei unserem ältesten Sohn hinwiesen und auf ADS bei unserer Tochter. Im nachhinein sehen wir ganz klare Hinweise darauf.
Ein weiterer Punkt ist: Es gibt keine standartisierten Merkmale für AD(H)S, auch wenn einige Ärzte meinen sie zu kennen. Alle drei Kinder zeigen bei uns komplett unterschiedliche „Symptome“ oder „Verhaltensweisen“. Natürlich gibt es „typische“ Verhaltensmerkmale, die eindeutig auf AD(H)S hinweisen, aber leider werden dadurch oft auch Mischformen oder mildere Formen des AD(H)S nicht erkannt.
Lassen sie sich bitte auch nicht von gewissen Menschen einreden, dass es AD(H)S als solches gar nicht gibt. Antworten sie diesen, dass sie medizinisch erklären sollen, warum Metylphenidat eigentlich bei jedem „gesunden“ Menschen aufputschend wirkt, bei Menschen mit AD(H)S allerdings das Gegenteil bewirkt, zumindest für andere wahrnehmbar.
Mein Sohn der Tyrann?!
Der älteste hatte im Kleinkindealter schon Probleme sich zu regulieren, das fiel allerdings nicht auf, da man mit 10 Monaten ja eh mal trotzig ist. Typisch war sein Verhalten, als er bei Unzufriedenheit, wenn etwas nicht klappte, seinen Kopf gegen den Boden oder die Wand hämmerte. Für uns erschreckend, für den Kinderarzt nichts Außergewöhnliches. „Lassen sie ihn im Kinderzimmer ausbocken und halten sie die Tür zu, nicht abschließen!“ Gesagt, getan, ohne einen Gedanken daran zu verlieren, was wir unserem Kind damit antun. „Jedes Kind kann schlafen lernen“ war ebenfalls ein Fehltritt, den wir uns heute nicht verzeihen. Warum erläutere ich im weiteren Verlauf.
Wir haben versucht sein Verhalten umzuleiten auf „Dinge schmeißen“, statt „Kopf gegen die Wand“ oder den Fußboden. Dies gelang so gut, dass er mit 2 1/2 Jahren bereits Wutanfälle bekam, in denen er z.B. seinem Bus-Bett die Scheibenwischer abriss und mit diesen gegen seine Zimmertür schlug, die wir ja “ artig“ zuhielten. Gespräch mit dem Kinderarzt brachte die Erkenntnis: Nix ungewöhnliches! Ok, war ja unser erstes Kind. Vielleicht reagieren wir ja nur deshalb so merkwürdig auf alle Ratschläge, die uns zu dem Verhalten unseres Kindes gegeben wurden.
Heute sehe ich, dass wir im Innersten schon wussten, dass das keine Möglichkeiten für unseren Sohn waren, seine Selbstregulation zu stärken und durch die Verhinderung von Körperkontakt, durch das „Türzuhalten“ und durch das mysteriöse Konzept des „Jedes Kind kann schlafen lernen“ , eine sein Nervenkostüm noch mehr strapazierende Umgebung für Ihn geschaffen hatten.
Weg damit!!
Entscheidende Konsequenz: Weg damit! Ausprobieren was klappt. Erst wieder bei uns im Bett schlafen und randaliert darf jetzt im Zimmer mit Tür offen ohne Konsequenzen, falls etwas kaputt geht. Ich bin dann zu ihm, trotzdem er geschrien hat, und habe gesagt, dass ich Ihn verstehe und an seiner Stelle auch sauer wäre. Aber das Wichtigste überhaupt: „Es ist ok wenn du das machst, aber ich lieb dich trotzdem, egal wie du bist.“ Hat er mich gelassen, habe ich Ihn in den Arm genommen. Das hört sich geschrieben so leicht an, war es aber nicht. Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass das Kind dieses Verhalten nicht mit Absicht zeigt, um uns eins auszuwischen. Eine Nervenprobe für alle Eltern. Gleichzeitig möchte ich aber nicht alle Verhaltensweisen die ADHS typisch sind verharmlosen und tolerieren. Im Gegenteil, es kostet sehr viel Kraft einem Kind mit ADHS klar zumachen, das bestimmten Verhaltensmuster, gerade im sozialen Bereich, nicht akzeptabel sind. In dieser Hinsicht hatten wir kaum Probleme mit unserem Älteren, allerdings mit unseren zwei anderen Kindern, denen ich ebenfalls jeweils einen Beitrag widmen werde.
Das hört sich für viele bestimmt total merkwürdig an, dass man ein Kind für negatives Verhalten mit Körperkontakt belohnt. Wir haben es aus dem Bauch heraus gemacht, als meine Schwiegermutter eines Tages erzählt hat, dass sie meinen Mann als Kind zum Kuscheln gezwungen hat, wenn er als Kind so war. „Zwingen“ kommt für uns nicht in Frage, also habe ich probiert, ob er den Körperkontakt zulässt. Im Übrigen bestreitet meine Schwiegermutter heute noch, dass mein Mann ADHS hat, da er ja nicht vernachlässigt wurde. Solch mittelalterlichem Denken werden ich einen gesonderten Beitrag widmen: Die Mythen um ADHS *zwinker*. Klingt eigentlich gar nicht schlecht *grins* Aber zurück zum Wesentlichen.
Halten sie sich bei dem Verhalten meines Sohnes einfach vor Augen, dass er extrem verunsichert war und auch nicht im Geringsten wusste oder einschätzen konnte, warum etwas nicht so klappt wie er es wollte und ebenso wenig eine Ahnung davon hatte, wie er das Verhalten abstellen soll, denn dafür gab es vorher ja Ärger. Ein Teufelskreis für ein kleines Kind. Wir durchbrachen ihn und es wurde besser. Er fühlte sich akzeptiert und nicht mehr so angespannt wie vorher. Die Wutausbrüche blieben, gingen aber viel schneller mit unserer Methode rum. Ein Fortschritt für beide Seite.
Irgendwann war es soweit, er durfte in den Kindergarten. Zu diesem Zeitpunkt war seine Schwester schon fast 2 Jahre alt und er auch scheinbar froh in den Kindergarten zu dürfen. Wir hatten etwas Bedenken wie er sich machen würde, aber alles umsonst. Im Kindergarten war er überhaupt nicht auffällig, zurückhaltend und eher derjenige, der zum „Opfer“ auserkoren wurde. Alle waren von ihm begeistert und nur zu Hause gab es diese besagten „Ausraster“, aber nun vermehrt , wenn er im Kindergarten geärgert wurde. Weiterhin bemerkten wir, dass er sich nur teilweise mit Spielzeug beschäftigen konnte/wollte. Dinge sortieren oder ein- und ausräumen machten ihm fiel mehr Spaß. Dinge im Alltag mit erledigen wurde zum neuen „Spiel“. Er war und ist ein äußert sozialer, gerechtigkeitsliebender und fleißiger Mensch, der sehr kreative Ideen hat und unheimlich freundlich und (endlich wieder) lebenslustig ist.
Ein völlig untypischer ADHSler, wie er es im Alter von 10 Jahren erst diagnostiziert bekommen sollte. Schon vor dem Kindergarten viel uns auf, dass er seine oder unsere Ohren massierte um einschlafen zu können, niedlich dachten wir damals. Dies hielt sich fast so lange bis er anfing seine Fingernägel abzukauen und sich öfter an die Augen fasste. Wir dachten es lag an seinen extrem langen Wimpern und Nägel hat mein Schwager auch gekaut. „Das gibt sich alles.“ Dachte der Kinderarzt und wir schließlich auch. Bis die Schulzeit begann.
Teil 2: Kindesalter Schule ist in Bearbeitung